„Der größte Zauberer ist derjenige, der am besten die Geheimnisse der Pflanzenwelt kennt.“ (Golowin 1973: 7)

Im ersten Teil dieser Artikelserie „Hexen, Teil 1 – Die Weisen Frauen unserer germanischen Vorfahren“, ging ich zurück bis zum Ursprung der Hexe, wo Frauen als Seherinnen hoch geachtet waren. Im zweiten Teil „Hexen, Teil 2 – Warum sie in der Gesellschaft von damals unentbehrlich waren“ gab ich einen Einblick, welche wichtigen Aufgaben Hexen bis ins hohe Mittelalter hinein ausübten. Im dritten und letzten Teil geht es um die mächtigen Pflanzenverbündeten der Hexe und ihren Einsatz in der Hexenmedizin à la psychedelisches Bier und Flugsalbe.

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Vor nicht all zu langer Zeit unternahm ich mit einem guten Freund eine Pilgerwanderung durch das mystische Waldviertel im Norden von Österreich. Nach einem langen Pilgertag erreichten wir mitten in einem Wald plötzlich eine Stelle, wo Biertische, Saufbuden und eine große Bühne für eine Band aufgestellt wurden. Ein 3tägiges Wackelstein bzw. Hexenfest sollte hier stattfinden. Auf dem Plakat war eine Hexe zu sehen, die anstatt auf einem Besen auf einer Gitarre durch die Luft reitet. Dieses Fest findet hier jedes Jahr statt – so wurde uns versichert. Eins war uns beim Anblick der Aufmachung jedenfalls ganz gewiss: Das gibt ein ordentliches Saufgelage!

Vielleicht wählten die Menschen einfach nur intuitiv den Begriff „Hexenfest“. Vielleicht waren sie aber auch noch stärker mit den keltisch-germanischen Wurzeln verbunden, die man im Waldviertel meiner Meinung noch besonders stark spürt. Die Hexe ist hier jedenfalls nicht ganz vergessen und wird mit ausgelassenen Feierlichkeiten und auch Lebensfreude in Verbindung gebracht. Schön fand ich das. Denn tatsächlich trug die Hexe ihren Teil dazu bei, dass die Feste entsprechend berauschend begangen wurden. Sie wußte um die geheimnisvollen Pflanzeningredienzen, um damit magische Gebräue zu fertigen, welche die Menschen in sinnliche Extase versetzten.

Hexen waren Meisterinnen im Umgang mit den Pflanzen und ihren innewohnenden Kräften. Ihre daraus resultierende Kunst war die sogenannte Hexenmedizin, die hoch wirksam und zugleich auch sehr gefürchtet war. Welche die mächtigen Zauberpflanzen der Hexe waren, warum Bier ursprünglich aphrodisierend wirkte und was die Flugsalbe mit dem Klischee von „auf Besen reitenden Hexen“ zu tun hat – das möchte ich dir in dem folgenden Artikel erzählen.

Zauberei als angewandte Kräuterheilkunde

Wie ich im letzten Artikel – Hexen, Teil 2 – beschrieben habe, hatte die Hexe in der Gesellschaft vielseitige Aufgaben inne – von der Kräuterheilkundigen bis zur Hebamme hin zur Seherin und  Liebesorakel. Pflanzen spielten dabei immer und ausnahmslos eine wichtige Rolle. Im Mittelalter war das Wort „Kraut“ gleichbedeutend mit „Zaubermittel“. In Venedig wurde die Zauberei oder Hexerei sogar als „Herberia“ – „Kräuterkunde“ – bezeichnet. Das heißt ursprünglich war die Zauberei angewandte Pharmakologie! (Christian Rätsch, Hexenmedizin, S. 98)

In der Heilkräuterkunde nutzte man jedenfalls das ganze Portofolio an Heilpflanzen, so viel ist sicher. Ganz besondere Aufmerksamkeit erfuhren dabei die sogenannten Zauberpflanzen. Sie waren Hauptbestandteil der geheimen Hexen-Rezepturen, die über Leben und Tod entschieden, die Zaubergetränke, die in sinnliche Ekstase versetzten oder die Flugsalben mit deren Hilfe die Hexen in andere Dimensionen „fliegen“ konnten.

Alraune, Tollkirsche & Bilsenkraut – Die Zauberpflanzen der Hexe

Die Zauberpflanzen der Hexe waren überaus mächtige Verbündete bei allen Aufgabenbereichen. Meistens waren es sehr giftige Vertreter aus der Pflanzenwelt, die gut dosiert werden mussten, wenn man bei der Anwendung nicht in die ewigen Jagdgründe eingehen wollte. Als einer der wichtigsten Hexenpflanzen galten Alraune, Tollkirsche und Bilsenkraut.

Alraune, Tollkirsche und Bilsenkraut

In Harry Potter gibt es eine Szene, wo Alraunen (Mandragora officinalis) umgetopft werden. Aber die Zauberlehrlinge müssen sich dabei die Ohren zuhalten, weil das Geschrei der „Alraunenmännchen“ lebensgefährlich sein kann. Es mag eine Szene aus einem Fantasy-Film sein und doch zeigt sie etwas von der magischen Kraft, der einst der Alraune zugeschrieben wurde. Wie die Tollkirsche und das Bilsenkraut gehört sie zu den Nachtschattengewächsen. Alle drei gelten als sehr giftig, sind stark psychoaktiv, erzeugen Halluzinationen und gehören zu den wichtigsten Aphrodisiaka und Ingredienzen für Liebestränke und Hexensalben.

Die mit ihren schwarzen, knopfgroßen Beeren unverkennbare Tollkirsche (Atropa belladonna) wurde bereits seit der Antike medizinisch verwendet, wo man sie vor allem als Schmerz- und Narkosemittel einsetzte. Auf der seelischen Ebene schrieb man ihr eine dämonenvertreibende Wirkung zu und heilte mit ihrer Hilfe verschiedene Geisteskrankheiten. Den Artnamen „belladonna“ erhielt sie unter anderem, weil junge Frauen sich ihren Saft in die Augen träufelten, um größere Pupillen zu bekommen. Das machte sie für die Männer attraktiver.

Und das Bilsenkraut (Hyoscyamos niger) mit seinen geheimnisvoll anmutenden Blüten, gehörte sogar zu den heiligsten Pflanzen der Germanen und Wikinger. Sie legten dazu sogar eigene Bilsengärten auf heiligen Äckern an. Das Bilsenkraut wurde ähnlich der Tollkirsche rituell, magisch wie auch medizinisch genutzt. In der Antike galt es als das bedeutendste Mittel für Wahrsagerei. In dem durch das Bilsenkraut ausgelösten tranceartigen Zustand konnte man hellsehen und Orakel geben. Vor allem war es aber ein sehr beliebter Bestandteil von berauschenden Getränken wie z.B. Bier.

Alraune (Mandragora officinalis) – Tollkirsche (Atropa belladonna) – Bilsenkraut (Hyoscyamos niger)

 

Pychedelisches Bier – Die Entstehung des Reinheitsgebotes

Ja, Bier. Denn bevor das Reinheitsgebot Einzug fand, hatte Bier noch eine ganz andere berauschende Wirkung als es heute hat. Bilsenkraut, Sumpfborst und Tollkirsche waren wichtige Bestandteile und lösten einen ekstatischen, berauschenden und stark aphrodisierenden Zustand aus. Die Frühjahrsfeste hatten in der heidnischen Bevölkerung immer etwas mit Fruchtbarkeit, Sexualität und Schöpferkraft zu tun. So wurde beispielsweise das Maifest auch entsprechend orgiastisch gefeiert und gelebt – sehr zum Mißfallen der Kirche. Da sie es aber nicht zuwege brachte die Feste zu verbieten, ließen sie sich etwas anderes einfallen. Sie nahmen ihnen die berauschende Grundlage.

Im Jahre 1516 wurde von dem Bayern-Herzog Wilhelm IV das Reinheitsgebot für Bier eingeführt. Fortan war es der ländlichen Bevölkerung verboten Bier zu brauen, dass jetzt einzig und allein der Kirche vorenthalten blieb. Um die Schäfchen zu zähmen wurden die gefährlichen Ingredienzen wie Bilsenkraut, Tollkirsche & Co entfernt und stattdessen etwas anderes beigegeben – nämlich Hopfen. Hopfen beruhigt, macht schläfrig und müde und fördert alles andere als eine ekstatische, sexuelle Ausgelassenheit.

Die neuen Bierbrauexperten waren jetzt die Mönche. Noch heute zeugen Namen wie „Stiftsbrauerei“ von der kirchlichen Übernahme. Und die machten sich dieses Getränk auch entsprechend zunutze. So durfte zur Fastenzeit zwar nichts gegessen, dafür aber getrunken werden. Zu dieser Zeit wurden Starkbiere gebraut, die mit sage und schreibe bis zu 5 Litern pro Kopf und Nase täglich vertilgt wurden. Prost!

Das Bilsenkraut als ehemaliger und heiliger Hauptbestandteil wurde aber nicht ganz vergessen. Wahrscheinlich ahnst du woher das „Pils“ seinen Nahmen hat – richtig von „Bilsenkraut“.

Die Flugsalbe – Wie die Hexe auf den Besen kam

Die Pappelsalbe – Grundbestandteil jeder Hausapotheke

Alraune, Tollkirsche und Bilsenkraut waren wichtige Grundbestandteile der sagenumwobenen Hexenschmiere oder Flugsalbe. Die Grundlage dafür bot die sogenannte, oft giftgrün gefärbte Pappelsalbe. Für ihre Herstellung wurden die Knospen der europäischen Schwarzpappel benutzt. Angereichert mit allerlei Heilkräutern galt sie als eine der wichtigsten Wundheilsalben und wurde praktisch in allen Kräuter- und Arzneibüchern seit dem 15. Jahrhundert angeführt. Bei den sorgfältig dosierten Zutaten findet man häufig Schlafmohn, Giftlattich, Tollkirsche und Cannabis (Hanf) beschrieben. Die Wirkung so einer Salbe kann grundsätzlich sicherlich als betäubend und schmerzlindernd verstanden werden. Derartige Pappelsalben waren in der frühen Neuzeit weit verbreitet, sehr beliebt und wurden ähnlich wie heute das Aspirin als universales Schmerzmittel, als Wundarznei, Rheuma,- und Hämorrhoidenmittel ganz offiziell eingesetzt. Für das einfache Volk war sie sozusagen ein Grundbestandteil der Hausapotheke.

Die Flugsalbe oder Hexenschmiere

Um die harmlosere Pappelsalbe zu einer Flugsalbe zu verwandeln, ergänzte man diese mit weiteren z.T. hochgiftigen und psychoaktiven Pflanzen wie z.B. Schierling, Bilsenkraut und Eisenhut. Die Hexen müssen hierbei Meisterinnen im Umgang mit der richtigen Dosierung gewesen sein. Denn derartig giftige Kräuter haben es in sich, die Seele (Astralleib) vom Körper zu spalten um in andere Dimensionen zu reisen bzw. zu „fliegen“. Die Kunst bestand jedoch darin, den Weg wieder zurück zum Körper zu finden.

Die nächtlichen Riten fanden dabei oft auf Anhöhen oder Hügeln im Schutze des Waldes statt, wo sich die Seherinnen und Zauberinnen, ähnlich den heutigen Schamanen, vollkommen nackt in Trance versetzten. Bei einer bestimmten Praktik dürfte die Flugsalbe dabei auf Holzstiele bzw. auch Besenstiele aufgetragen worden sein, welche die Frauen zwischen ihre Schenkel nahmen und sich daran rieben. Die hoch psychoaktiven Substanzen der Flugsalbe wurden dabei über die empfindlichen Schleimhäute der Schamlippen in den Körper aufgenommen.

Von außen beobachtet mag das für einen unbedarften Zuschauer höchst bizarr ausgesehen haben: Einen Haufen nackter Frauen, die in taumelnder Ekstase im Kreis um ein Feuer tanzen und dabei auf Besenstielen reiten. Vor allem ein frisch christlich missionierter Mensch mag hier, gepaart mit der damaligen Angst vor den „bösen“ Zauberinnen, die „auf Besen reitenden Hexen“ beobachtet haben, welche durch die Luft fliegen und Unheil anrichten. Das Klischee war geboren. Die Salben selber wurden deshalb auch Flugsalben genannt, im Mittelalter etwas abschätzig dann Hexenschmiere.

Die Flugsalbe in der Inquisition

Die Inquisitoren setzten übrigens die Flugsalbe als Wahrheitsdroge bei der Peinlichen Befragung ein. Sie sollte den Widerstand der Gefolterten brechen. Es gibt sogar Aufzeichnungen, wo man die Pappelsalbe an der Frau des Henkers ausprobiert hat:

„…erprobte sie and der Frau des Henkers. Die verfiel für drei Tage in eine Art Koma oder Tiefschlaf und beschwerte sich ärgerlich, als sie aus diesem Schlaf mit süßen Träumen voller erotischer Abenteuer gerissen wurde.“ (Aufzeichnungen des päpstlichen Leibarztes Andrés Laguna, Christian Rätsch, Hexenmedizin, S. 156)

Die Rückkehr des alten Wissens

All diese Methoden mit Hilfe von Pflanzen tranceartige Zustände zu erfahren, in jenseitige Welten zu reisen, einen Seelenflug zu vollführen – all das ist den heutigen Kulturanthropologen wohlbekannt. Sie gehören in den Bereich der schamanistischen Ekstasetechniken vieler Naturvölker. Und sie finden langsam auch wieder Einzug in unsere abgeklärte, vom logischen Verstand trocken gelegte Seelenlandschaft, die sich nach sinnlicher Ekstase, Lebendigkeit und Bewusstseinserweiterung sehnt.

Wir haben unsere Wurzeln nicht verloren, wir haben sie nur vergessen, den Riten und Festen andere Namen gegeben. Das Maifest zeugt z.B. noch sehr von der erotischen Komponente wegen derer es einst gefeiert wurde. Der Maibaum stellt für den aufmerksamen Beobachter auch heute noch den Phallus des Mannes dar, der sich mit der Yoni der Frau (der Maibaumkranz) vereinigt. Und selbst die Trinkgelage sind beim Maibaumaufstellen nach wie vor erhalten geblieben. Der Hopfen im Bier sorgt jetzt brav dafür, dass die lustvollen Ausschweifungen in Zaum gehalten werden. Die rituelle Trance der tanzenden „Priesterinnen“ alias Hexen, bleibt uns als das Bild der durch die Luft fliegenden Hexe als eine Art Erinnerung erhalten. Jetzt weißt du ja, wie es entstanden ist und kannst es vielleicht auch in transformierter Art und Weise sehen.

Dieses Muster kannst du übrigens bei allen unseren sogenannten „christlichen Festen“ beobachten. Unter einem dünnen, religiösen Schleier liegen unsere urheidnischen Wurzeln verborgen. Sie sind es, die uns wieder mit der Lebendigkeit des Lebens verbinden, mit der sexuell-schöpferischen Urkraft, die aller Natur innewohnt und somit auch jedem Menschen.

Und indem du dich wieder mit diesen Wurzeln verbindest, beginnst du dein wahres Potenzial zu leben – du beginnst zu deiner eigenen Natur zu erwachen.

Ich freue mich auf dein Kommentar!

herzliche Grüße,

Alfred Zenz Jun.

PS:

  • Mehr über die Völvas, Hexen und Magierinnen und ihren männlichen Kollegen den Druiden, erfährst du aktuell in meinem Vortrag „Druiden, Hexen & Zauberer“ am 04. Mai in Gröbming.
  • Wild- und Heilkräuter sind einer der besten Möglichkeiten mit der ursprünglichen Hexenmedizin wieder in Kontakt zu kommen! Die nächste Wildkräuterwanderung findet am Samstag, dem 05. Mai in Gröbming statt.

PPS:
Du möchtest richtig tief eintauchen und das Vergessene Wissen der Druiden, Kräuterhexen und Pflanzenheilkundigen in dir wieder zum Leben erwecken?

…dann werden dich diese Veranstaltungen sicher interessieren:

„Zur Natur Erwachen“ – 4tages-Intensiv-Retreat zur Erweckung deiner (über)natürlichen Fähigkeiten; an einem wunderschönen Kraftort in Südkärnten

„Ausbildung zum Medium für Pflanzen- und Naturwesen“ – heuer erstmals im Programm! Sie findet in der Nähe von Graz statt und erstreckt sich über 3 Module.

 

 

 

Quellennachweis

  • Wolf-Dieter Storl, Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch, Hexenmedizin, 10. Auflage, 2015

„Hexenmedizin ist wilde Medizin – sie ist unkontrollierbar, sie entzieht sich der herrschenden Ordnung, ist Anarchie. Sie gehört zur Wildnis. Sie macht Angst. Sie ist vor allem eines: heidnisch.“ (Claudia Müller-Ebeling)

Im letzten Artikel: „Hexen, Teil 1 – Die Weisen Frauen unserer germanischen Vorfahren“, ging ich zurück bis zum Ursprung der Hexe, wo Frauen als Seherinnen hoch geachtet waren. Im zweiten Teil gebe ich dir einen Einblick welche wichtigen Aufgaben sie bis ins hohe Mittelalter hinein ausübten, was sie für die Gesellschaft von damals unentbehrlich machte.

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Wenn heutzutage von Hexen geredet wird, dann meistens im Zusammenhang mit bösem Zauber. Wenn eine Sache nicht gelingen mag, dann ist sie irgendwie „verhext“, ein Mann im blinden Liebestaumel wurde von einer „schönen Hexe verzaubert“, und einen steifen Nacken oder Rücken bezeichnet man auch gerne als „Hexenschuß“ – man hat das üble Zaubergeschoß einer Hexe abgekommen. Meistens ist die Hexe hier nicht unbedingt die Heilbringerin. Dass diese Klischees noch immer bestehen, verdankt die Hexe einer jahrhundertelangen, massiven Manipulation durch die kirchliche Oberschicht.

Nicht, weil sie tatsächlich einen bösen Geist verkörperte, die mit dem Satan im Bunde stand, nein, sondern weil sie tatsächlich mächtige, heilerische Fähigkeiten besass. Das stellte natürlich eine strenge Konkurrenz zur Kirche dar, die für sich den Alleinanspruch auf Heilung erhob. Denn diese sogenannte Hexenmedizin war eine ganzheitliche Medizin und sie war mächtig und wirkungsvoll. Um es in den Worten von Claudia Müller-Ebeling wiederzugeben: „…Denn sie entscheidet über Leben und Tod und sie macht mehr als nur gesund: sie bringt Lust und Erkenntnis, Rausch und mystische Einsicht. Sie ist wilde Medizin. Sie macht Angst. Und sie ist vor allem eines: heidnisch“

Die im Laufe der Jahrhunderte erfolgte, strategische Verfolgung und Vernichtung dieser heilkundigen Frauen, liess uns schließlich vergessen, welch wichtige Rolle die Hexe in der Gesellschaft eigentlich wirklich spielte. Ohne sie hätte es keine Hausapotheke gegeben, keine Geburtshelferinnen, keine Empfängnisverhütung (ja, auch das kannte man damals schon!), keine psychologische Unterstützung in Lebens,- und Liebesangelegenheiten und vieles mehr. Die Hexe hatte viele und wichtige Aufgaben – sie war für die Menschen von damals unentbehrlich.

Die Hexe als Kräuterheilkundige

Frauen waren ursprünglich die ersten, die die Felder bestellten. Wie die Männer Wissen über die Tiere erwarben, die sie jagten, entwickelten die Frauen Sicherheit im Umgang mit Pflanzen. Bereits im Mädchenalter lernten sie, wo bestimmte Kräuter wachsen, welche heilkräftigen Eigenschaften ihnen innewohnen und wie man mit den Pflanzengeistern spricht, damit sie ihre Kräfte dem Menschen zur Verfügung stellen. Wenn es um die Geheimnisse der Pflanzen ging, dann waren vor allem die Frauen zuständig. Sie waren sozusagen die ursprünglichen „Kräuterhexen“, die noch bis in die Mitte des 20. Jahrhundert hinein die erste Anlaufstelle für Heilsuchende Menschen waren.

So erzählt z.B. meine 1917 geborene Großmutter aus Übelbach noch, dass, wenn es um schwere Krankheit oder Verletzungen ging, sie stundenlang zu Fuss zur „Lammer-Resi“ nach Passail (einem Ort nördlich von Graz) wanderten. Von dieser Kräuterfrau erhielten sie Heilkräuter in Form von Tees, Tinkturen oder Salben. Mehr dazu siehe Artikel: „100 Jahre Wildkräuter – Meine Großmutter erzählt aus ihrem Leben“

Die Großmütter als Weise Ratgeberinnen

Großmütter genossen zur damaligen Zeit noch eine ganz andere Wertschätzung als heute. Denn sie waren aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung und als Trägerinnen von überliefertem Wissen, wertvolle Ratgeberinnen, die man bei wichtigen Entscheidungen gerne aufsuchte. Sie wurden als sogenannte „Alte Weise Frauen“ hoch geschätzt.

„Jede Siedlung, jeder Clan hatte eine weißhaarige Alte, der die Ahnen- und Waldgeister oder auch die Göttin manch Geheimnis zugeraunt hatte.“ (Wolf-Dieter Storl, Hexenmedizin, S. 40)

Die Hexe als Hebamme und „Kinderbringerin“

Die ersten Hebammen waren Frauen, die selbst schon Kinder zur Welt gebracht hatten und ihre Erfahrung und Wissen mit anderen Frauen teilten. Viele entwickelten im Laufe der Zeit umfassende, naturheilkundliche Kenntnisse, die sie von Generation zu Generation weitergaben. Diese Tradition (über)lebte sogar noch bis weit ins 20. Jahrhunderts hinein.

Auch hier gibt es wieder eine Anektode von meiner 100jährigen Großmutter: Als ich sie fragte, wie dass denn mit den Geburten war und ob da ein Arzt ins Haus kam, oder sie ins Spital fahren musste, da sagte sie nur: „Nein, da war schon immer irgendwo eine Bäuerin, die selbst schon Kinder hatte oder selbst schon einmal dabei gewesen ist bei einer Geburt und sich ein bißchen ausgekannt hat. Dann ist das schon gegangen.“ Aus dem Artikel: „100 Jahre Wildkräuter – Meine Großmutter erzählt aus ihrem Leben“

Die Hebamme als Heilpflanzenkundige und Frauenärztin

Die Hebammen kannten sich meisterhaft mit Pflanzen aus, welche die Geburt unterstützten indem sie z.B. Krämpfe der angespannten Dammmuskeln lösten, zu starke Blutungen minderten oder die Wehen förderten. Hebammen waren aber nicht nur „Geburtshelferinnen“, sie waren auch „Frauenärztinnen“, die sich mit dem weiblichen Unterleib insgesamt sehr gut auskannten. So wurden sie auch bei allen möglichen venerischen und gynekologischen Beschwerden aufgesucht. Sie wußten um Pflanzen, welche die Fruchtbarkeit förderten oder eine ausbleibende Regel wieder in Gang setzen konnten. Gleichzeitig kannten sie natürlich auch Kräuter, um unerwünschte Leibesfrucht abzutreiben und wussten um Mittel zur Empfängnisverhütung. Pflanzen wie z.B. die Poleiminze, Diptam oder der Sadewacholder waren als Abtreibungsmittel gut bekannt. Und die Weide galt z.B. als hervorragendes Verhütungsmittel!

Aber die Hebamme war noch weit mehr als das. Sie war auch die „Kinderbringerin“, die den neuen Erdenbürger rituell in die Welt einführte.

Die Hebamme als „Kinderbringerin“ – Das Willkommens-Ritual

Der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl beschreibt im Buch „Hexenmedizin“ einen Ritus, der bei den germanischen Völkern nach der Geburt stattfand.

Die Hebamme trat hierbei als Priesterin auf – als eine Art Vermittlerin zwischen der jenseitigen und der diesseitigen Welt. Dazu nahm sie das Neugeborene und legte es auf die strohbedeckte Erde um es der Erdmutter, der „Frau Holle“, zu weihen. Dabei „umschritt“ das Kind dreimal und „beschaute“ es. Das heißt sie begutachtete es in seinem Gesundheitszustand. War es gesund und lebensfähig, hob sie es auf. Daher stammt das Wort Hebamme (althochdeutsch „HEVANNA = HEBE AHNIN“). War das Kind hingegen schwächlich, lebensunfähig oder gar verkrüppelt, wurde es nicht aufgehoben sondern hinter der Hecke im Wald ausgesetzt.

Das „aufgehobene“ Neugeborene bekam von der Hebammen-Priesterin einen Segensspruch, wurde mit dem Lebenselement Wasser besprengt oder gebadet und dann auf den Schoß des Vaters gesetzt. Dieser nannte das Kind beim richtigen Namen, den er entweder geträumt oder als innere Stimme vernommen hatte. Denn man war davon überzeugt: der Mensch bringt seinen Namen mit, er wird nicht willkürlich benannt. Oft ist es der Name, den er schon vor der Wiedergeburt hatte. Häufig war es der Urgroßvater oder die Urgroßmutter, die da als reinkarnierte Seele dem Vater auf den Schoß gesetzt wurde. Das Wort „Enkel“ weist auf diesen ursprünglichen Bezug hin. Es bedeutet übersetzt nämlich so viel wie „Ähnchen“, also „Kleiner Ahne“.

Das Ritual des Aufhebens und der Namensgebung machte den Neuankömmling wieder zum Teil der lebenden Gemeinschaft. Er war jetzt wieder integriert und wurde von der Familie als wiedergeborene Seele willkommen geheißen.

Die Hexe als Seherin, Magierin und Zauberin

Frauen, deren Wissen weiter reichte als der praktische Umgang mit den Heilkräutern, wurden zu den „Weisen Frauen“ – den sogenannten „Seherinnen“ oder „Völvas“. Sie hatten ausgeprägte mediale Fähigkeiten und übten als Verkörperung der Großen Göttin in der Gesellschaft eine wichtige Funktion aus. Darüber habe ich in meinem letzten Artikel ausführlich geschrieben: „Hexen, Teil 1 – Die Weisen Frauen unserer germanischen Vorfahren.“

Die Pflanzen und Kräuterheilkunde spielte dabei noch immer eine wichtige Rolle. So wie die kräuterkundigen Frauen, wussten auch die Völvas von der arzneilichen Wirkung der einzelnen Pflanzen. Als Zauberinnen bzw. Magierinnen kombinierten sie jedoch ihre Heilmethoden mit Zauberformeln und Ritualen. Sie versetzten sich in Trance und gingen mit dem Pflanzengeist in Kontakt um die Krankheitsdämonen zu vertreiben und auf der geistigen Ebene Heilung zu bewirken. Ähnlich wie wir es heute noch von so manchen Indianerstämmen kennen, stellte die Pflanze einen wichtigen Verbündeten dar mit dem höchst achtsam und respektvoll umgegangen werden musste. Die Völvas selbst waren dabei Meisterinnen im Umgang mit den Pflanzendevas. Ihre Fähigkeiten waren hoch geschätzt sowie gefürchtet und sie hatten eine Vielzahl an Aufgaben inne. Die wichtigsten waren wahrscheinlich:

Weissagung

Diese Seherinnen wurden zu Rate gezogen, wenn es z.B. um Ernteerträge, den Erfolg einer Jagd oder eines Raubzuges ging, aber auch um das Schicksal von Einzelnen oder Liebespaaren vorherzusagen. Es gibt Berichte von den Römern, die sich darüber wunderten, dass große Schlachten nicht geführt wurden weil die Seherinnen davon abrieten.

Sexualmagie und Liebeszauber

Die Völvas wußten um all die Kräuter, mit denen sie eine Frau schön und attraktiv machen konnten um einen Mann zu verzaubern oder zu betören. Sie waren für ihre Kunst, Liebestränke zu brauen, Liebeszauber zu vollführen oder bestehenden Zauber zu brechen, legendär. Ebenso hatten sie Kenntnis über den Einsatz und die genaue Dosierung von aphrodisierenden Pflanzen um das sexuelle Feuer zu entfachen.

Wetterzauber

Wuchs das Getreide am Feld nicht, wurden Ernten durch Unwetter zerstört oder blieb der heiß ersehnte Regen aus, so vermochten sie darauf Einfluss zu nehmen. Ähnlich den heutigen Schamanen kannten sie Rituale um Regen zu machen oder Ernteerträge zu erhöhen und die irdischen wie himmlischen Kräfte wieder in Balance zu bringen.

Welche Pflanzen für diese Rituale Verwendung fanden, warum man die besonders giftigen Vertreter als Zauberpflanzen bezeichnete und mit welchen Ingredienzen das Bier gebraut wurde, bevor das Reinheitsgebot Einzug fand – all das erfährst du in meinem nächsten Artikel: „Hexen, Teil 3 – Die mächtigen Zauberpflanzen der Hexe“

Das Wiedererwachen der Hexenmedizin im Heute

Die Hexenmedizin, wie sie einst existierte, fiel der jahrhundertelangen Hexenverfolgung zum Opfer. Und alles, was do noch irgendwie überlebte, wurde durch die naturfremde Ratio der Aufklärung restlos getilgt. Das, was uns an Wissen heute erreicht, stammt vorwiegend aus kirchlichen Schriften à la Hildegard von Bingen oder wurde durch angesehene Gelehrte wie Dioskurides oder Paracelsus weitervermittelt. Den heidnischen Wurzeln selbst, denen das Wissen eigentlich entspringt, wurde jegliches Leben ausgehaucht……bis heute.

Es mag vielleicht kaum mehr was von den eigentlichen Kräuterhexen, Kinderbringerinnen und Magierinnen selbst nachzulesen sein, doch geschieht meinem Empfinden nach in unserer modernen Gesellschaft etwas viel Tiefgreifenderes als altes Wissen durch Recherche zugänglich zu machen. Immer mehr hochempfindsame Menschen bekommen ein neues Vertrauen in ihre Wahrnehmung, in die klare Eingebung ihrer Intuition. Als ob sie durch ein unsichtbares Band mit diesen einst heilkundigen Vorfahrinnen verbunden wären, lernen sie wieder selbst zu „sehen“ und die Heilkräfte der Pflanzen am eigenen Leib wahrzunehmen anstatt die Informationen aus einem Buch herunterzubeten.

Wir nennen das gegenwärtig „hellsehen“ oder „hellfühlen“ und die meisten verbannen es noch ins Reich der Esoterik. Dabei ist es in Wirklichkeit der einzige, wirklich wahre Zugang zum Geheimnis der Heilkräfte welche der Natur innewohnen.

„Lebendigkeit kann nur durch Lebendigkeit geschaut werden, nicht durch kühle Logik.“

Das ist die eigentliche Hexenmedizin – die uns ständig umgebende Vielfalt, Schönheit und wesenhaften Erscheinungen der Natur zu spüren und in all ihrer unerklärbaren Tiefe anzuerkennen. Wenn das geschieht, wenn du bereit bist, dich auf das ganze Feld einzulassen, dann beginnst du das gesamte dir als Mensch zur Verfügung stehende Potential zu leben. Du beginnst zu deiner eigenen Natur zu erwachen.

Ich freue mich auf dein Kommentar!

herzliche Grüße,

Alfred Zenz Jun.

PS:

  • Mehr über die Völvas, Hexen und Magierinnen und ihren männlichen Kollegen den Druiden, erfährst du aktuell in meinem Vortrag „Druiden, Hexen & Zauberer“ am 04. Mai in Gröbming.
  • Welche Seele den Pflanzen innewohnt und auf welch heilsame Weise sie mit uns kommunizieren, das ist Thema meines Vortrages „Die Seele der Pflanzen“ am Do. 12. April in Fernitz bei Graz.
  • Wild- und Heilkräuter sind einer der besten Möglichkeiten mit der ursprünglichen Hexenmedizin wieder in Kontakt zu kommen! Die nächste Wildkräuterwanderung findet am Samstag, dem 21. April in Raaba-Grambach statt.

PPS:
Du möchtest richtig tief eintauchen und das Vergessene Wissen der Druiden, Kräuterhexen und Pflanzenheilkundigen in dir wieder zum Leben erwecken?

…dann werden dich diese Veranstaltungen sicher interessieren:

„Zur Natur Erwachen“ – 4tages-Intensiv-Retreat zur Erweckung deiner (über)natürlichen Fähigkeiten; an einem wunderschönen Kraftort in Südkärnten

„Ausbildung zum Medium für Pflanzen- und Naturwesen“ – heuer erstmals im Programm! Sie findet in der Nähe von Graz statt und erstreckt sich über 3 Module.

 

 

 

Quellennachweis

  • Wolf-Dieter Storl, Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch, Hexenmedizin, 10. Auflage, 2015
  • Ralph Metzner, Brunnen der Erinnerung, 3. verbesserte Auflage 2016
  • Helmut Birkhan, Kelten: Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur