Die „Grünen Kathedralen von Angkor“: atemberaubende Symbiose zwischen Mensch und Natur

Auf den Spuren von Indiana Jones

Wie mächtige, lebendige Säulen ragen sie turmhoch in den Himmel. Ihre z.T. baumstammdicken Wurzeln haben die jahrtausendealten Bauwerke fest im Griff. Fast scheint es so, als ob die massiven Steinmauern als Substrat für diese Urwaldriesen dienen. Was für eine Erhabenheit, was für eine Kraft, die sich vor meinen Augen entfaltet und eine Atmosphäre schafft, die mit Worten nicht zu beschreiben ist!

Überwältigt von dieser Energie hier laufe ich wie von der Tarantel gestochen kreuz und quer durch die Tempelanlage und beklettere alles was möglich ist. Für die chinesischen Gruppen bin ich anscheinend ein gefundenes Fotomotiv und ich höre, wie eine Dame ruft: „Indiana Jones!“

Ich befinde mich hier in Kambodscha in einem verwachsenen Dschungeltempel, der Teil eines der berühmtesten Bauwerke dieser Erde ist: den Tempelanlagen von Angkor – laut Archeologen die seinerzeit flächenmäßig wohl größte Stadt auf dem Planeten!

Alfred Zenz Jun. im Dschungeltempel Beng Mealea nördlich von Angkor, Kambodscha

Alfred Zenz Jun. im Dschungeltempel Beng Mealea nördlich von Angkor, Kambodscha

Eine Dschungelstadt erwacht zum Leben

Als der portugiesische Kapuziner Antonio da Magdalena 1586 nach Angkor kam, beschrieb er das Vorgefundene „als so außergewöhnlich, dass man es weder mit einem Stift beschreiben, noch mit einem anderen Monument in der Welt vergleichen kann.“
Der Botaniker Henri Mohout machte letztendlich die vom Dschungel überwachsene Tempelstadt im Jahr 1860 weltbekannt und holte sie aus ihrem Dornröschenschlaf. 1992 wurde Angkor als eine Art „Weltwunder“ zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Heute sind die Tempel von Angkor DAS Highlight eines jeden Kambodscha-Besuches und strahlen eine derartige Anziehung aus, dass jährlich geschätzte 5 Millionen Besucher ihrer Faszination erliegen!

Zeugnis einer einzigartigen Hochkultur

Angkor war einst das Herz des mächtigen Khmer-Reiches, das sich vom 09. bis 13. Jahrhundert in Indochina ausdehnte. Die Herrscher dieser Epoche sahen sich selbst als Gott-Könige und bezeugten ihre Macht im Außen mit imposanten Tempelbauten. Es war eine Hochkultur, die nicht nur architektonische Meisterleistungen vollbrachte sondern auch das ausgefeilteste Bewässerungssystem der damaligen Zeit schuf. Es stellte drei Reisernten pro Jahr sicherund ermöglichte die Ernährung einer Großstadt mit geschätzten 1 Mio. Einwohnern.

Der Dschungeltempel Ta Prohm. Kulisse für den Film "Tomb Raider"

Der Dschungeltempel Ta Prohm. Kulisse für den Film „Tomb Raider“

Eine so erfolgreiche, wohlorganisierte Zivilisation hat es wohl zu dieser Zeit nirgends wo sonst auf der Welt gegeben. Experten vermuten, dass im Königreich Angkor an seinem Höhepunkt bis zu einer Million Menschen auf etwa 1000km² gelebt haben. (im Vergleich: Berlin ist knappe 900km2 groß).

Nun gut, aber was hat nun dieser Ort, dass er Menschen derartig in seinen Bann zieht und welche Rolle spielen die Bäume darin?

 

Wenn aus Ruinen Grüne Kathedralen werden

Anfang des 20. Jahrhunderts begannen die ersten französischen Restauratoren und Architekten die Tempel von Angkor zu restaurieren und vom Dschungel zubefreien. Dabei beschlossen sie einen Tempel in dem Zustand zu belassen, in dem sie ihn vorfanden. Die Wahl fiel auf Ta Prohm, der heute als „DerDschungeltempel“ bekannt ist.

Die Atmosphäre, die er ausstrahlt, ist derart mystisch, dass er 2001 als spektakuläre Kulisse für den Hollywood-Blockbuster „Tomb Raider“ mit Angelina Jolie in der Hauptrolle ausgewählt wurde.

Wurzeln von des Thitpok-Baumes (Tetrameles nudiflora) im Tempel Ta Prohm in Angkor, Kambodscha

Wurzeln des Thitpok-Baumes  im Tempel Ta Prohm

Du kannst Dir wahrscheinlich denken, an welchem von all den unzähligen Tempeln in Angkor ich mich mit Abstand am längsten aufgehalten habe 🙂

Was mich als Naturliebhaber hier natürlich am meisten beeindruckte, war diese einzigartige Symbiose von Mensch und Natur. Es ist, als ob der Dschungel mit den Tempelruinen eins wird, sie wortwörtlich durchwächst, um aus den Trümmern einer längst vergessenen Hochkultur ein neues Bauwerk zu erschaffen. Ein Kunstwerk wozu kein Menschenwesen jemals fähig wäre: Ich nenne sie die „Grünen Kathedralen von Angkor“.

Der Tempel im Würgegriff der Bengalischen Feige

Ta Prohm ist mit seinen monumentalen Baumwurzeln, die ganze Gebäudeteile umschließen und meterdicke Sandsteinmauern wie Knäckebrot sprengen, eines der beliebtesten Fotomotive in Angkor.

Neben dem Thitpok-Baum (Tetrameles nudiflora) mit seinen beeindruckenden „Brett-Wurzeln“, ist es vor allem auch die Bengalische Feige, die Mauern und Türme „fest im Griff“ hat.

Bengalische Feige oder Banyan-Baum (Ficus benghalensis)

von Würgefeige umschlossener Tempel in Koh Ker nördlich von Angkor, Kambodscha. Mit Alfred Zenz Jun.

von Würgefeige umschlossener Tempel

Der Grund, warum man gerade von diesem Baum so viele Tempelbereiche umschlossen findet, ist seine kompromisslose Art sich zu verbreiten.

Sein Same keimt nämlich bevorzugt im Geäst anderer Bäume. Von dort aus bildet er schon als junges Pflänzchen „Luftwurzeln“, die frei herunterhängen. Haben sie den Erdboden erstmal berührt, schlagen sie sofort Wurzeln und bilden einen richtigen Stamm. Es kommt zu einem massiven Wachstumsschub, da das Bäumchen nun nicht mehr ausschließlich auf das Substrat angewiesen ist, das sich auf dem Wirtsbaum befindet. Wie eine Würgeschlange umschließt es den Stamm seines Wirtsbaum, bis dieser mit zunehmendem Alter erdrückt wird und schließlich abstirbt. Deshalb wird der Banyan auch Würgefeige genannt.

Luftwurzeln des Banyan-Baums (Ficus benghalensis)

Luftwurzeln des Banyan-Baums (Ficus benghalensis)

Trotz dieser nicht sehr feinen Umgangsart mit seinen „Kollegen“ zählt der Banyanbaum zu einem der heiligsten Bäume Ostasiens! Aufgrund dieses „auf den Kopf gestellten“ Wachstums (die Wurzeln „kommen“ vom Himmel herab) gilt er im Hinduismus als Ort „göttlicher Präsenz“ – er ist zugleich Baum der Erkenntnis und des Lebens.

Keimt der Baum nun auf dem Dach eines Tempels geschieht das gleiche mit dem Bauwerk, nur dass dieses halt nicht abstirbt. Nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten entsteht so eine unglaublich beeindruckende Verschmelzungen zwischen Baum und Bauwerk, die jeden Besucher in Erstaunen versetzt.

Wenn die „Grünen Kathedralen“ fallen

Man braucht kein hochsensibler Mensch zu sein, um die lebendige Kraft wahrzunehmen, die solch ein Ort ausstrahlt. Man spürt den Unterschied, wenn man von einem der säuberlich vom Dschungel befreiten Tempel in diese nahezu unangetasteten Ruinen kommt.

Ich bin davon überzeugt, dass hier vor allem eins die Massen anzieht – Naturfaszination. Etwas, was uns tief im inneren berührt und sich mit keinem historischen Geschichtsbuch erklären lässt.

Tempel Bantey Kdei in Angkor, Kambodscha. Mit großem Thitpok-Baum (Tetrameles nudiflora)

Tempel Bantey Kdei in Angkor. Mit großem Thitpok-Baum (Tetrameles nudiflora)

Ich schaue in die mächtigen Baumkronen und freue mich, dass hier die alten Bäume bewahrt wurden. Anders als ich es auf den Dschungeltrekkings erlebt habe, wo kaum mehr ein Urwaldgigant zu sehen ist. Auch hier in Kambodscha schreitet die Rodung des Regenwaldes wie überall in den Tropen rasant voran. Nach Angaben der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird ALLE 2 SEKUNDEN weltweit eine Waldfläche in der Größe eines Fussballfeldes vernichtet!! (das sind in etwa 3500m2 pro Sekunde!).

Und ich frage mich, wie wenig müssen uns die Wälder wert sein, dass das möglich ist?

  • Wenn ein durchschnittliches Einfamilienhaus abgerissen wird, dauert es in etwa 1 Jahr bis ein neues Haus gebaut ist. Wenns schnell gehen soll, steht so ein Haus auch schon nach wenigen Monaten.
  • Wenn eine unserer Kirchen oder Kathedralen zerstört wird, wie z.B. die Frauenkirche in Dresden im Zweiten Weltkrieg, dauert es ein Jahrzehnt bis sie wieder instand gesetzt sind.
  • Selbst viele der unglaublichen Tempel von Angkor werden seit 1908 erfolgreich rekonstruiert. Und mag es weitere 100 Jahre dauern, es ist auf alle Fälle möglich!
  • Wenn Du einen 500 Jahre alten Baum fällst, dauert es – richtig – 500 Jahre bis ein neuer Baum dieser Dimension heranwächst. Aber Du kannst nichts dazu tun, um es zu beschleunigen. Wir können nicht an den Bäumen ziehen, damit sie schneller wachsen.
  • Ein bisher vom Menschen unangetasteter Urwald (man nennt so etwas Primärwald) beherbergt ein über Jahrtausende gewachsenes, stabiles Ökosystem mit einer unglaublichen Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren. Wenn so ein Wald zerstört wird dauert es tausende von Jahren, bis dieser Zustand wieder hergestellt ist. Und kein Geld der Welt und keine noch so moderne Technologie vermögen dies zu beschleunigen.

Sollten aus dieser Sicht unsere Wälder nicht bedeutender sein als alle historischen Bauwerke zusammen?
Was wäre, würden wir unsere noch vorhandenen Urwälder so wertschätzen wie die Tempel und Kirchen vergangener Kulturen und Epochen? Wie viel „heiliger“ würde uns dann ein alter Baum oder ein alter Wald erscheinen?

Die Wälder wären für uns wie Grüne Kathedralen von zeitloser, lebendiger Schönheit. Und der wohl unmittelbarste Zugang zur Kraft, die aller Schöpfung zugrunde liegt.

mit herzlichen Grüßen,

Alfred Zenz Jun.

8 Kommentare
  1. Diana Grabowski sagte:

    Liebster, ein wundervoller Artikel, der so schön in Worte fasst, was ich mit Dir erleben durfte. Ich muss schmunzeln, wenn ich daran denke, wie Du schwupp di wupp auf den nächsten Baum geklettert bist. So schnell konnte ich gar nicht schauen. 😉

    Durch Deine Faszination über die Natur habe ich diese verzauberten Orte miterlebt. Oh Gott, was hätten wir verpasst, wenn wir nicht zu den Urwaldtempeln in Koh Ker gefahren wären.

    Auch unser Dschungeltrekking mit 3 Übernachtung in der Hängematte direkt im Urwald, hätte ich so vielleicht gar nicht erlebt.

    Unsere Reise war ein unvergessliches Erlebnis, das noch lange nachwirken wird.

    In Liebe,
    Diana

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    • Alfred Zenz sagte:

      Liebste Diana,
      Wie schön ist es, dass ich das alles mit dir teilen durfte! Danke für Deine wunderbare Reisebegleitung, Deine Coolness, wenn ich regelmäßig in den Tempeln ausgeflippt bin, dein Strahlen, selbst wenn es mal bewölkt war und allen voran diese tiefe, innige Verbindung, mit der wir gemeinsam durchs Leben gehen und solcherart Dinge erleben 🙂

      Danke für Dein DA-Sein! In Liebe,
      Alfred

      Antworten
  2. augustine sagte:

    Ich weiß nicht, ob ich da hin möchte, aber eines ist mir genauso wichtig wie dir.
    DAS SIND DIE BÄUME!
    Es war sicher ein wunderschöner Aufenthalt mit viel tiefen Wahrnehmungen.
    Ich freue mich für dich, dass du das leben konntest.
    lieb Grüße augustine

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    • Alfred Zenz sagte:

      Liebe Augustine,
      Danke für deinen Kommentar und deine Anteilnahme! Und ja die Bäume, die sind ja auch die Kernaussage von diesem Artikel. Das hast so so erfaßt, wie ich es gemeint habe 🙂 Das allerschönste ist, man muß nicht nach Kambodscha fahren, um die „Grünen Kathedralen“ zu erleben. Wir sind von ihnen umgeben 🙂

      Alles Liebe,
      Alfred

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  3. Kristin sagte:

    Lieber Alfred,
    danke für diesen wunderscönen Artikel, der mich tief berührt. – Ich frage mich immer öfter, wie es sein kann, dass alle Hochkulturen dieser Welt untergegangen sind und es jetzt von ein paar kurzsichtigen Idioten regiert wird, die ohne Rücksicht auf Verluste unseren Lebensraum zerstören.

    Dein letztes Kapitel treibt mir die Tränen in die Augen. Mir ging es ja schon im letzten Jahr hier zuhause so, als sie mit ihren Harvestern gekommen sind und unseren Buchenwald regelrecht abrasiert haben.

    Es scheint so hoffnungslos… und doch – und das ist der einzige Trost – wird am Ende die Natur gewinnen wenn der Mensch untergegangen ist.

    alles Liebe,
    Kristin

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    • Alfred Zenz sagte:

      Liebe Kristin,
      Ja, wenn man sieht, wie Lebensräume zerstört werden, wo einem das Herz dran hängt, ist das schwer zu ertragen. Wir haben eine Hochkultur geschaffen mit einer Technologie, die ganz offensichtlich weiter entwickelt ist als unser Bewusstsein. Und wenn kein kollektives „Erwachen“ stattfindet wird es unserer Hochkultur wohl so ergehen wie all den anderen Hochkulturen, die irgendwann vom Erdboden wieder verschwunden sind. Fast ironisch ist es, dass sehr viele Initiativen für Naturschutz in diesen Ländern von Europa kommen. Wir haben über die letzten Jahrhunderte so viel Natur zerstört, dass wir wohl wissen, dass es höchste Eisenbahn ist ihr was zu unternehmen. Tja,…mögen wir hoffen, dass wir rechtzeitig die Kurve kratzen und erkennen, das wir Teil der Natur sind und nicht davon getrennt.
      herzlichen Dank für deinen Beitrag liebe Kristin!
      Alfred

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  4. Sonne sagte:

    Beeindruckend…. Wirklich… War noch nie da und es scheint mir so vertraut…………. Ja es wäre schön wenn alle Menschen erkennen würden, dass wir Teil der Natur sind……. Wo ihr überall hinkommt…. Zurzeit gibt’s bei mir nur Phantasiereisen…. Hi…. Alles Liebe euch

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    • Alfred Zenz sagte:

      Liebe Sonne,
      Danke fürs Mit-Reisen! …und wer weiß wie oft du in der „Phantasie“ schon dort warst, weshalb es dir so vertraut erscheint 🙂
      Danke für deine Worte!

      Alles Liebe,
      Alfred

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