Die Natur als Coach – Die Medizinwanderung oder wie die Natur dir helfen kann dich selbst zu erkennen
„Bevor du neue Wege gehst, gehe einen Schritt zurück. Zu dir selbst.“ (Dana Haralambie)
Jetzt im Herbst, wo die Tage immer kürzer zu werden und die Natur langsam beginnt sich zurückzuziehen, ist auch für uns Menschen eine hervorragende Zeit um nach innen zu schauen um Botschaft, Erkenntnis und Heilung mit und durch die Natur zu erfahren. Und eine der besten, einfachsten und unmittelbarsten Möglichkeiten dafür ist die sogenannte Medizinwanderung oder der „medicine walk“.
Die Medizinwanderung ist etwas, was seit Urzeiten bei Naturvölkern praktiziert wurde. Es ist ein bewusstes Hinausgehen in die beseelte Natur, um mit ihr in Kontakt zu treten und wertvolle Botschaften und Einsichten zu erhalten. Sie ist dabei häufig Teil einer Initiation wie zum Beispiel der Visionssuche, wo sie als Vorbereitung für die entbehrungsreiche Zeit dient. Bekanntgeworden ist es in unserem Raum vor allem durch die nordamerikanischen Ureinwohner, den Indianern.
Die Natur als Spiegel der Seele – In der Natur sich selbst erkennen
Die Medizinwanderung beschreibt nichts anderes, als dass du in einen leicht veränderten Bewusstseinszustand eintrittst, der es dir erlaubt, die Natur als Spiegel deines eigenen Selbst zu betrachten. Das heißt, du trittst aus deinem Alltagsbewusstsein heraus und verlässt deine gewohnte Art, die Umgebung wahrzunehmen. Für einen bestimmten Zeitraum, der sogenannten Liminal- oder Schwellenzeit, wandelst du durch die mystisch-magischen Ebenen deines eigenen Unterbewusstseins. Du begibst dich sozusagen bewusst auf eine Reise in dein Innerstes, das sich für die Dauer der Medizinwanderung als das Außen offenbart. Oder in anderen Worten: Du erwachst für eine zeitlang aus dem Traum oder besser gesagt zum Traum und erkennst alles, was dir begegnet als einen Anteil von dir selbst.
Wenn alles EINS ist – Die Philosophie des Advaita
Solange du bewusst in die Anderswelt eintrittst, kommuniziert einfach alles mit dir, weil du selbst alles bist. Eine Sicht, die aus dem Advaita stammt, der östlichen Lehre der Non-Dualität, wo das Ich-Gefühl als eine Illusion gilt. Die Philosophie des Advaita wurde im Westen durch die indischen Meister Ramana Maharshi und Papaji bekannt. Das Wort „Advaita“ selbst stammt aus dem Sanskrit und bedeutet übersetzt so viel wie „Nicht-Zweiheit“. Für die Anhänger des Advaita, die sogenannten erwachten oder erleuchteten Menschen, existiert letztendlich nur EIN unendliches Bewusstsein. Sri Nisargadatta Maharaj, einer der bedeutendsten, spirituellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und von vielen Indern und Besuchern aus der westlichen Welt als erleuchteter und spiritueller Meister verehrt, beschreibt es so: „Das äußere Selbst ist nur eine Projektion des inneren Selbst, das wiederum ein Ausdruck des Absoluten ist, das alles und nichts ist… Alle Geschehnisse im Äußeren sind eine Antwort auf die Geschehnisse im Inneren.“ Oder wie es Eckhart Tolle formuliert: „Letztendlich begegnest du dir immer nur selbst.“
So oder so musst du nicht erleuchtet sein um eine Medizinwanderung durchführen zu können. Diese Sicht soll es dir nur leichter machen, die Natur im Außen als den Spiegel deines innersten Wesens anzunehmen. In jedem Fall, und um das geht es in der Medizinwanderung, erhältst du für dich die fehlenden Puzzleteilchen, die dir helfen wieder einen Schritt weiterzukommen, klarer zu werden oder deine innere Ordnung wieder herstellen. Du beziehst sozusagen Heilung aus der Natur. Das Wort „Heilung“ bedeutet übrigens übersetzt so viel wie „wieder ganz werden“. In diesem Sinne erhältst du (d)eine Medizin und wirst dadurch ein Stück weit „ganzer“.
Der Ablauf der Medizinwanderung
Die Medizinwanderung kann dir in vielfältiger Weise dienlich sein. Zum Beispiel als Absichtsklärung für eine bevorstehende Aufgabe, um Antworten auf eine herausfordernde Lebenssituation zu bekommen oder als Unterstützung, wenn es darum geht eine wichtige Entscheidungen zu treffen. Natürlich kannst du deinen medicine walk auch einfach nur machen um dir eine Art Auszeit vom Alltag zu gönnen und wieder in deine Kraft und Mitte zu finden.
In jedem Fall folgt die Medizinwanderung bestimmten Schritten, die es einzuhalten gibt um sie als kraft- und wirkungsvoll für dich zu erleben.
1. Zeitpunkt & Dauer
Üblicherweise findet die Medizinwanderung von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang statt. Es geht in unserem Fall aber nicht darum, einen ganzen Tag unterwegs zu sein, sondern viel mehr die Stunden, wo du dich in der Natur aufhältst, ganz bewusst zu verbringen. So kann deine Medizinwanderung einen ganzen Tag beanspruchen aber vielleicht auch nur 2-3 Stunden („Gang der Kraft“). Mach den Zeitpunkt auch nicht vom Wetter abhängig, sondern folge hier deinem Instinkt bzw. deinen inneren Impulsen. Wenn es beim Losgehen zu regnen beginnt, dann ist der Regen ein wichtiger Teil deiner Wanderung.
2. Davor & Währenddessen
Bevor du losgehst, sollte irgendeine dir nahestehende Person Bescheid wissen wo du vorhast hinzugehen. Es kommt nicht selten vor, dass sich Leute beim querfeldein gehen verirren oder die Orientierung verlieren. Nimm dein Handy also gerne mit, aber schalte es auf Flugmodus und verwende es nur im Notfall. Während der Zeit der Medizinwanderung wird gefastet. Eine Trinkflasche solltest du natürlich dabei haben. Wo immer du wählst zu gehen, achte dabei darauf, dass du für dich alleine sein kannst, also abseits ausgetretener Pfade.
3. Deine Absicht
Bevor du losgehst, überlege dir deine Absicht, weshalb du diese Medizinwanderung für dich machen möchtest. Vielleicht wünscht du dir Unterstützung auf deinem persönlichen Entwicklungsweg, vielleicht möchtest du Themen des Alltags, deiner Beziehung, der Familie oder des bisherigen Berufes verabschieden oder lösen. Achte auf deine Impulse und sei ehrlich zu dir. Das, was im medicine-walk angeschaut werden möchte, wird sich dir klar zeigen.
4. Die Schwelle in die Anderswelt und wieder zurück
Wenn du losgehst, überschreitest du ganz bewusst eine Schwelle. Diese Schwelle steht symbolisch für den Übergang in einen andere Ebene und Zeit in der du dich während der Wanderung befindest. Sie wird auch als Schwellen- oder Liminalzeit bezeichnet. Die Schwelle sollte physisch sichtbar sein, sie kann ein Ast am Boden sein, eine kleine Brücke, die du zu überqueren hast oder ein alter Baum, den es zu passieren gilt. Du wählst die Schwelle dort, wo du sie eindeutig als solche erkennst. Nachdem die Wanderung vorbei ist, wird es wieder eine Schwelle geben, die du zu durchschreiten hast, um wieder zurück in alltägliche Welt zu kommen. Dies kann und wird wahrscheinlich eine andere sein als die Schwelle beim Losgehen. In jedem Falle gilt: Überschreite diese Schwellen bewusst. Es sind immer auch Wächter, die dich ob deiner Absicht auf Herz und Nieren prüfen.
5. Ein Spaziergang durch die Geistwelt der Natur
Wenn du die erste Schwelle überschritten hast, befindest du dich in der „Anderswelt“. Du hast dann bewusst für eine Zeit lang die Seiten gewechselt. Alles, was jetzt in der Natur auftaucht, sich zeigt, jedes Symbol, jedes einzelne Lebewesen, jeder Baum und jede Blume sind in direktem Austausch mit dir. Und mehr noch, es ist, als ob du in deinem eigenen Unterbewusstsein spazieren gehst und alles davon ein Teil von dir ist, der mit dir spricht. Nimm all diese Zeichen und Bewegungen wahr und achte darauf, mit was du besonders stark in Resonanz gehst. Folge den Impulsen, die dir sagen, wann es gilt anzuhalten, dich niederzusetzen, ein Gebet zu sprechen oder vielleicht sogar ein kleines Ritual abzuhalten. Alles was geschieht, geschieht hier für dich und dafür, das klar zu kriegen wonach du gefragt hast. Und nichts was du erlebst und erfährst ist zufällig oder belangläufig. Alles beinhaltet die Chance zu erkennen, zu verstehen, klar zu werden und dich letztendlich tief in deinem Inneren berühren zu lassen. Dabei kann dir die Erfahrung komplett unspektakulär erscheinen und doch birgt sie in sich ein tiefes Heilungspotenzial.
6. Bleibe präsent!
Wann immer du beginnst nachzudenken oder dich in mentale Konstrukte oder logische Erklärungen verlierst, halte inne. Wenn das geschieht, bist du von dir weggegangen, hast dich verlassen, bist nicht hier und kannst auch nichts mehr (wesentliches) empfangen. Versuche nicht zu verstehen, was es nicht zu verstehen gilt. Sondern sei da, spüre deinen Körper, spüre deine Schritte, streng dich vielleicht für kurze Zeit ein bißchen mehr an oder lass einen Schrei los. Aber sei da, sei in deinem Körper, bleib in Verbindung! Ein Aspekt der Medizinwanderung ist gerade der, dass es eine zutiefst körperliche Erfahrung ist, eine gehende Meditation wenn du so willst. Dein Körper-Geist-Organismus weiß mit all dem was anzufangen. Lass dies zu, beobachte, staune, folge dem was dran ist.
6. Nachreflexion – ins Bewusstsein holen
Wenn du wieder über die 2. Schwelle zurückgekehrt bist in die alltägliche Welt, kannst du beginnen zu reflektieren. Schreibe dir das Erlebte und deine wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Medizinwanderung auf. Vielleicht kamen auch bestimmte Symbole oder Bilder, die du aufzeichnen magst. Vielleicht hast du auch ein „Geschenk“ mitbekommen, eine Art Symbol in Form eines Steines, einem Stück Wurzel, einer Blume. Wenn es nicht schon während der Wanderung geschehen ist, kannst du dich jetzt fragen, welche Bedeutung dieses erhaltene Symbol für dich hat.
7. Integration – Teilen mit einem anderen
Um all das, was du für dich erfahren und erlebt für dich voll und ganz zu integrieren, braucht es jetzt noch jemanden, dem du das ganze schildern und erzählen kannst. Wichtig dabei ist, dass du erzählst, der andere hört mit offenem Ohr zu und übt sich im Zuhören. Reines Nachfragen im Sinne von: „Hab ich das richtig verstanden?“ oder „Was genau meinst du damit?“ usw. ist natürlich ok. Mach dir selbst und deinem Gegenüber aber in jedem Fall klar, dass du hier eine für dich „heilige Erfahrung“ schilderst und dass hier Zeugenbewusstsein und herzoffene Präsenz gefragt ist. Es geht darum, deine Geschichte noch einmal bewusst zu durchleben und die wesentlichen Punkte und Erkenntnisse in dir zu integrieren.
Wanderung in der Natur vs. Stadtspaziergang
Manchmal fragen mich Leute, ob sie ihre Medizinwanderung nicht auch im nahegelegenen Park oder im städtischen Umfeld machen können. Warum muss es konkret Natur sein? Und klar kannst deine Medizinwanderung auch in Form eines Stadtspazierganges machen. Es geht nicht darum, dass es immer in der Natur geschieht. Auch der Hydrant am Gehsteig, die Autos auf der Straße, die rote Ampel oder die verschiedenen Menschen, die dir begegnen sind dann ein Teil deiner Wanderung, die dir über dein Unterbewusstsein die Antworten aus dem subtilen Raum liefern.
Der Vorteil einer Wanderung durch einen Wald oder einer Naturlandschaft, ist ganz einfach der, dass es leichter fällt, aus der Alltagstrance herauszutreten. Das kommt daher, dass die Natur auf vielfältigste Weise positiv auf unseren Körper-Geist-Organismus einwirkt indem sie zum Beispiel den Nerv der Ruhe aktiviert und damit die Entspannung fördert, die gerichtete Aufmerksamkeit wiederherstellt und unser Gehirn in einen meditativen Zustand versetzt. So kannst du dich bei einer Wanderung durch die Natur viel leichter für die zum Teil sehr subtilen und verborgenen Botschaften aus dem Raum öffnen und sie entsprechend empfangen.
So gesehen ist es nicht nur gesünder und kraftvoller deinen medicine walk in der Natur zu machen, sondern ganz sicher auch aussagekräftiger und wirkungsvoller.
In diesem Sinne wünsche ich dir eine gute und erkenntnisreiche Selbst-Erfahrung in und durch die Natur und einen gesegneten Eintritt in die dunkle Jahreszeit. Auf dass du diese besondere Zeitqualität der tiefen Innenschau und Einkehr für Klärung, Erkenntnis und persönliches Wachstum erfahren und für dich nutzen kannst!
Ich freue mich auf deinen Kommentar!
Herzlichst,
Alfred Zenz – Der Seelengärtner
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Lieber Alfred,
vielen herzlichen Dank für diesen Beitrag.
Für mich wirkt schon das Lesen dieses Beitrages wie ein Portal,
welches mich in die Welt der Naturwesen führt.
Sehr inspirierende und informative Worte, die mehr als Worte sind. Sie sind Medizin.
Vielen herzlichen Dank und liebe Grüße
Liebe Irmgard,
Ja, vielleicht offenbart sich ja schon das Lesen des Artikels als Schwelle in die Anderswelt 🙂 Schön, dass die Naturwesen bei dir so präsent sind. Danke fürs Teilen! (was auch Medizin ist).
mit herzlichen Grüßen,
Alfred
Lieber Alfred, ich bedanke mich für alles was du gibst, es liegt soviel mehr…. in deinen Botschaften.. ja es ist auch ein Aufruf wieder eine Wanderung zu machen zu mir selbst.. denn alles hab ich ja schon in mir..
Dein Kurs mit Jasmine und Diana hat mich so viel reicher gemacht, ihr habt mir gezeigt, wie einfach es ist
einfach in die Natur zu gehen und geschehen zu lassen….herzlichst und in tiefer Dankbarkeit Eure Gabriele Freisinger
Liebe Gabriele,
Danke für deine Wertschätzung. Das bedeutet mir, bedeutet uns sehr viel. Und ja, vielleicht ist es auch wieder einmal Zeit eine Wanderung in die Natur zu machen und einfach geschehen zu lassen. Danke für dein Sein und für deine Herzlichkeit!
mit ganz lieben Grüßen,
Alfred