Hexen, Teil 2 – Warum sie in der Gesellschaft von damals unentbehrlich waren

„Hexenmedizin ist wilde Medizin – sie ist unkontrollierbar, sie entzieht sich der herrschenden Ordnung, ist Anarchie. Sie gehört zur Wildnis. Sie macht Angst. Sie ist vor allem eines: heidnisch.“ (Claudia Müller-Ebeling)

Im letzten Artikel: „Hexen, Teil 1 – Die Weisen Frauen unserer germanischen Vorfahren“, ging ich zurück bis zum Ursprung der Hexe, wo Frauen als Seherinnen hoch geachtet waren. Im zweiten Teil gebe ich dir einen Einblick welche wichtigen Aufgaben sie bis ins hohe Mittelalter hinein ausübten, was sie für die Gesellschaft von damals unentbehrlich machte.

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Wenn heutzutage von Hexen geredet wird, dann meistens im Zusammenhang mit bösem Zauber. Wenn eine Sache nicht gelingen mag, dann ist sie irgendwie „verhext“, ein Mann im blinden Liebestaumel wurde von einer „schönen Hexe verzaubert“, und einen steifen Nacken oder Rücken bezeichnet man auch gerne als „Hexenschuß“ – man hat das üble Zaubergeschoß einer Hexe abgekommen. Meistens ist die Hexe hier nicht unbedingt die Heilbringerin. Dass diese Klischees noch immer bestehen, verdankt die Hexe einer jahrhundertelangen, massiven Manipulation durch die kirchliche Oberschicht.

Nicht, weil sie tatsächlich einen bösen Geist verkörperte, die mit dem Satan im Bunde stand, nein, sondern weil sie tatsächlich mächtige, heilerische Fähigkeiten besass. Das stellte natürlich eine strenge Konkurrenz zur Kirche dar, die für sich den Alleinanspruch auf Heilung erhob. Denn diese sogenannte Hexenmedizin war eine ganzheitliche Medizin und sie war mächtig und wirkungsvoll. Um es in den Worten von Claudia Müller-Ebeling wiederzugeben: „…Denn sie entscheidet über Leben und Tod und sie macht mehr als nur gesund: sie bringt Lust und Erkenntnis, Rausch und mystische Einsicht. Sie ist wilde Medizin. Sie macht Angst. Und sie ist vor allem eines: heidnisch“

Die im Laufe der Jahrhunderte erfolgte, strategische Verfolgung und Vernichtung dieser heilkundigen Frauen, liess uns schließlich vergessen, welch wichtige Rolle die Hexe in der Gesellschaft eigentlich wirklich spielte. Ohne sie hätte es keine Hausapotheke gegeben, keine Geburtshelferinnen, keine Empfängnisverhütung (ja, auch das kannte man damals schon!), keine psychologische Unterstützung in Lebens,- und Liebesangelegenheiten und vieles mehr. Die Hexe hatte viele und wichtige Aufgaben – sie war für die Menschen von damals unentbehrlich.

Die Hexe als Kräuterheilkundige

Frauen waren ursprünglich die ersten, die die Felder bestellten. Wie die Männer Wissen über die Tiere erwarben, die sie jagten, entwickelten die Frauen Sicherheit im Umgang mit Pflanzen. Bereits im Mädchenalter lernten sie, wo bestimmte Kräuter wachsen, welche heilkräftigen Eigenschaften ihnen innewohnen und wie man mit den Pflanzengeistern spricht, damit sie ihre Kräfte dem Menschen zur Verfügung stellen. Wenn es um die Geheimnisse der Pflanzen ging, dann waren vor allem die Frauen zuständig. Sie waren sozusagen die ursprünglichen „Kräuterhexen“, die noch bis in die Mitte des 20. Jahrhundert hinein die erste Anlaufstelle für Heilsuchende Menschen waren.

So erzählt z.B. meine 1917 geborene Großmutter aus Übelbach noch, dass, wenn es um schwere Krankheit oder Verletzungen ging, sie stundenlang zu Fuss zur „Lammer-Resi“ nach Passail (einem Ort nördlich von Graz) wanderten. Von dieser Kräuterfrau erhielten sie Heilkräuter in Form von Tees, Tinkturen oder Salben. Mehr dazu siehe Artikel: „100 Jahre Wildkräuter – Meine Großmutter erzählt aus ihrem Leben“

Die Großmütter als Weise Ratgeberinnen

Großmütter genossen zur damaligen Zeit noch eine ganz andere Wertschätzung als heute. Denn sie waren aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung und als Trägerinnen von überliefertem Wissen, wertvolle Ratgeberinnen, die man bei wichtigen Entscheidungen gerne aufsuchte. Sie wurden als sogenannte „Alte Weise Frauen“ hoch geschätzt.

„Jede Siedlung, jeder Clan hatte eine weißhaarige Alte, der die Ahnen- und Waldgeister oder auch die Göttin manch Geheimnis zugeraunt hatte.“ (Wolf-Dieter Storl, Hexenmedizin, S. 40)

Die Hexe als Hebamme und „Kinderbringerin“

Die ersten Hebammen waren Frauen, die selbst schon Kinder zur Welt gebracht hatten und ihre Erfahrung und Wissen mit anderen Frauen teilten. Viele entwickelten im Laufe der Zeit umfassende, naturheilkundliche Kenntnisse, die sie von Generation zu Generation weitergaben. Diese Tradition (über)lebte sogar noch bis weit ins 20. Jahrhunderts hinein.

Auch hier gibt es wieder eine Anektode von meiner 100jährigen Großmutter: Als ich sie fragte, wie dass denn mit den Geburten war und ob da ein Arzt ins Haus kam, oder sie ins Spital fahren musste, da sagte sie nur: „Nein, da war schon immer irgendwo eine Bäuerin, die selbst schon Kinder hatte oder selbst schon einmal dabei gewesen ist bei einer Geburt und sich ein bißchen ausgekannt hat. Dann ist das schon gegangen.“ Aus dem Artikel: „100 Jahre Wildkräuter – Meine Großmutter erzählt aus ihrem Leben“

Die Hebamme als Heilpflanzenkundige und Frauenärztin

Die Hebammen kannten sich meisterhaft mit Pflanzen aus, welche die Geburt unterstützten indem sie z.B. Krämpfe der angespannten Dammmuskeln lösten, zu starke Blutungen minderten oder die Wehen förderten. Hebammen waren aber nicht nur „Geburtshelferinnen“, sie waren auch „Frauenärztinnen“, die sich mit dem weiblichen Unterleib insgesamt sehr gut auskannten. So wurden sie auch bei allen möglichen venerischen und gynekologischen Beschwerden aufgesucht. Sie wußten um Pflanzen, welche die Fruchtbarkeit förderten oder eine ausbleibende Regel wieder in Gang setzen konnten. Gleichzeitig kannten sie natürlich auch Kräuter, um unerwünschte Leibesfrucht abzutreiben und wussten um Mittel zur Empfängnisverhütung. Pflanzen wie z.B. die Poleiminze, Diptam oder der Sadewacholder waren als Abtreibungsmittel gut bekannt. Und die Weide galt z.B. als hervorragendes Verhütungsmittel!

Aber die Hebamme war noch weit mehr als das. Sie war auch die „Kinderbringerin“, die den neuen Erdenbürger rituell in die Welt einführte.

Die Hebamme als „Kinderbringerin“ – Das Willkommens-Ritual

Der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl beschreibt im Buch „Hexenmedizin“ einen Ritus, der bei den germanischen Völkern nach der Geburt stattfand.

Die Hebamme trat hierbei als Priesterin auf – als eine Art Vermittlerin zwischen der jenseitigen und der diesseitigen Welt. Dazu nahm sie das Neugeborene und legte es auf die strohbedeckte Erde um es der Erdmutter, der „Frau Holle“, zu weihen. Dabei „umschritt“ das Kind dreimal und „beschaute“ es. Das heißt sie begutachtete es in seinem Gesundheitszustand. War es gesund und lebensfähig, hob sie es auf. Daher stammt das Wort Hebamme (althochdeutsch „HEVANNA = HEBE AHNIN“). War das Kind hingegen schwächlich, lebensunfähig oder gar verkrüppelt, wurde es nicht aufgehoben sondern hinter der Hecke im Wald ausgesetzt.

Das „aufgehobene“ Neugeborene bekam von der Hebammen-Priesterin einen Segensspruch, wurde mit dem Lebenselement Wasser besprengt oder gebadet und dann auf den Schoß des Vaters gesetzt. Dieser nannte das Kind beim richtigen Namen, den er entweder geträumt oder als innere Stimme vernommen hatte. Denn man war davon überzeugt: der Mensch bringt seinen Namen mit, er wird nicht willkürlich benannt. Oft ist es der Name, den er schon vor der Wiedergeburt hatte. Häufig war es der Urgroßvater oder die Urgroßmutter, die da als reinkarnierte Seele dem Vater auf den Schoß gesetzt wurde. Das Wort „Enkel“ weist auf diesen ursprünglichen Bezug hin. Es bedeutet übersetzt nämlich so viel wie „Ähnchen“, also „Kleiner Ahne“.

Das Ritual des Aufhebens und der Namensgebung machte den Neuankömmling wieder zum Teil der lebenden Gemeinschaft. Er war jetzt wieder integriert und wurde von der Familie als wiedergeborene Seele willkommen geheißen.

Die Hexe als Seherin, Magierin und Zauberin

Frauen, deren Wissen weiter reichte als der praktische Umgang mit den Heilkräutern, wurden zu den „Weisen Frauen“ – den sogenannten „Seherinnen“ oder „Völvas“. Sie hatten ausgeprägte mediale Fähigkeiten und übten als Verkörperung der Großen Göttin in der Gesellschaft eine wichtige Funktion aus. Darüber habe ich in meinem letzten Artikel ausführlich geschrieben: „Hexen, Teil 1 – Die Weisen Frauen unserer germanischen Vorfahren.“

Die Pflanzen und Kräuterheilkunde spielte dabei noch immer eine wichtige Rolle. So wie die kräuterkundigen Frauen, wussten auch die Völvas von der arzneilichen Wirkung der einzelnen Pflanzen. Als Zauberinnen bzw. Magierinnen kombinierten sie jedoch ihre Heilmethoden mit Zauberformeln und Ritualen. Sie versetzten sich in Trance und gingen mit dem Pflanzengeist in Kontakt um die Krankheitsdämonen zu vertreiben und auf der geistigen Ebene Heilung zu bewirken. Ähnlich wie wir es heute noch von so manchen Indianerstämmen kennen, stellte die Pflanze einen wichtigen Verbündeten dar mit dem höchst achtsam und respektvoll umgegangen werden musste. Die Völvas selbst waren dabei Meisterinnen im Umgang mit den Pflanzendevas. Ihre Fähigkeiten waren hoch geschätzt sowie gefürchtet und sie hatten eine Vielzahl an Aufgaben inne. Die wichtigsten waren wahrscheinlich:

Weissagung

Diese Seherinnen wurden zu Rate gezogen, wenn es z.B. um Ernteerträge, den Erfolg einer Jagd oder eines Raubzuges ging, aber auch um das Schicksal von Einzelnen oder Liebespaaren vorherzusagen. Es gibt Berichte von den Römern, die sich darüber wunderten, dass große Schlachten nicht geführt wurden weil die Seherinnen davon abrieten.

Sexualmagie und Liebeszauber

Die Völvas wußten um all die Kräuter, mit denen sie eine Frau schön und attraktiv machen konnten um einen Mann zu verzaubern oder zu betören. Sie waren für ihre Kunst, Liebestränke zu brauen, Liebeszauber zu vollführen oder bestehenden Zauber zu brechen, legendär. Ebenso hatten sie Kenntnis über den Einsatz und die genaue Dosierung von aphrodisierenden Pflanzen um das sexuelle Feuer zu entfachen.

Wetterzauber

Wuchs das Getreide am Feld nicht, wurden Ernten durch Unwetter zerstört oder blieb der heiß ersehnte Regen aus, so vermochten sie darauf Einfluss zu nehmen. Ähnlich den heutigen Schamanen kannten sie Rituale um Regen zu machen oder Ernteerträge zu erhöhen und die irdischen wie himmlischen Kräfte wieder in Balance zu bringen.

Welche Pflanzen für diese Rituale Verwendung fanden, warum man die besonders giftigen Vertreter als Zauberpflanzen bezeichnete und mit welchen Ingredienzen das Bier gebraut wurde, bevor das Reinheitsgebot Einzug fand – all das erfährst du in meinem nächsten Artikel: „Hexen, Teil 3 – Die mächtigen Zauberpflanzen der Hexe“

Das Wiedererwachen der Hexenmedizin im Heute

Die Hexenmedizin, wie sie einst existierte, fiel der jahrhundertelangen Hexenverfolgung zum Opfer. Und alles, was do noch irgendwie überlebte, wurde durch die naturfremde Ratio der Aufklärung restlos getilgt. Das, was uns an Wissen heute erreicht, stammt vorwiegend aus kirchlichen Schriften à la Hildegard von Bingen oder wurde durch angesehene Gelehrte wie Dioskurides oder Paracelsus weitervermittelt. Den heidnischen Wurzeln selbst, denen das Wissen eigentlich entspringt, wurde jegliches Leben ausgehaucht……bis heute.

Es mag vielleicht kaum mehr was von den eigentlichen Kräuterhexen, Kinderbringerinnen und Magierinnen selbst nachzulesen sein, doch geschieht meinem Empfinden nach in unserer modernen Gesellschaft etwas viel Tiefgreifenderes als altes Wissen durch Recherche zugänglich zu machen. Immer mehr hochempfindsame Menschen bekommen ein neues Vertrauen in ihre Wahrnehmung, in die klare Eingebung ihrer Intuition. Als ob sie durch ein unsichtbares Band mit diesen einst heilkundigen Vorfahrinnen verbunden wären, lernen sie wieder selbst zu „sehen“ und die Heilkräfte der Pflanzen am eigenen Leib wahrzunehmen anstatt die Informationen aus einem Buch herunterzubeten.

Wir nennen das gegenwärtig „hellsehen“ oder „hellfühlen“ und die meisten verbannen es noch ins Reich der Esoterik. Dabei ist es in Wirklichkeit der einzige, wirklich wahre Zugang zum Geheimnis der Heilkräfte welche der Natur innewohnen.

„Lebendigkeit kann nur durch Lebendigkeit geschaut werden, nicht durch kühle Logik.“

Das ist die eigentliche Hexenmedizin – die uns ständig umgebende Vielfalt, Schönheit und wesenhaften Erscheinungen der Natur zu spüren und in all ihrer unerklärbaren Tiefe anzuerkennen. Wenn das geschieht, wenn du bereit bist, dich auf das ganze Feld einzulassen, dann beginnst du das gesamte dir als Mensch zur Verfügung stehende Potential zu leben. Du beginnst zu deiner eigenen Natur zu erwachen.

Ich freue mich auf dein Kommentar!

herzliche Grüße,

Alfred Zenz Jun.

PS:

  • Mehr über die Völvas, Hexen und Magierinnen und ihren männlichen Kollegen den Druiden, erfährst du aktuell in meinem Vortrag „Druiden, Hexen & Zauberer“ am 04. Mai in Gröbming.
  • Welche Seele den Pflanzen innewohnt und auf welch heilsame Weise sie mit uns kommunizieren, das ist Thema meines Vortrages „Die Seele der Pflanzen“ am Do. 12. April in Fernitz bei Graz.
  • Wild- und Heilkräuter sind einer der besten Möglichkeiten mit der ursprünglichen Hexenmedizin wieder in Kontakt zu kommen! Die nächste Wildkräuterwanderung findet am Samstag, dem 21. April in Raaba-Grambach statt.

PPS:
Du möchtest richtig tief eintauchen und das Vergessene Wissen der Druiden, Kräuterhexen und Pflanzenheilkundigen in dir wieder zum Leben erwecken?

…dann werden dich diese Veranstaltungen sicher interessieren:

„Zur Natur Erwachen“ – 4tages-Intensiv-Retreat zur Erweckung deiner (über)natürlichen Fähigkeiten; an einem wunderschönen Kraftort in Südkärnten

„Ausbildung zum Medium für Pflanzen- und Naturwesen“ – heuer erstmals im Programm! Sie findet in der Nähe von Graz statt und erstreckt sich über 3 Module.

 

 

 

Quellennachweis

  • Wolf-Dieter Storl, Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch, Hexenmedizin, 10. Auflage, 2015
  • Ralph Metzner, Brunnen der Erinnerung, 3. verbesserte Auflage 2016
  • Helmut Birkhan, Kelten: Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur
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